Text ohne Autor

Aus Marek Vosswinkel hätte ein Germanist, mindestens ein Linguist, werden können, doch er wurde lieber Kommunikationsdesigner – und Herausgeber der „Neuen Weltchirurgie“. In seinen Worten ist er einer, der sichtbar macht. Warum weshalb wieso? Wir haben ihn gefragt.

von Katharina Raab

22. November 2018

Wie es zur „Neuen Weltchirurgie“ kam? Marek Voßwinkel weiß es bezeichnenderweise nicht mehr. Schöpfungsmythen, Autorenschaft, künstlerische Absichten – all das interessiert ihn eben wenig. Doch aus der Idee, vielmehr dem Impuls, bekannte Texte, vor allem Lieder und Lyrik, Klassiker aus alter und neuerer Zeit, durch das Übersetzungstool der Suchmaschine Google zur schicken und nach einer modifizierenden und dokumentierten Reise durch zahlreiche Sprachen wieder ins Deutsche zurück zu übersetzen, wurde ein Projekt. Ein halbes Jahr lang jagte Marek Voßwinkel bedeutungsvolle Sätze durch Google Translate und war amüsiert, auch fasziniert davon, was die Maschine jenseits aller Deutungszwänge aus ihnen machte. Eine Poesie ohne Sinn? Digitaler Dadaismus? Verfremdung, gar Verunstaltung von hohem Bildungsgut? Auf jeden Fall ein furioses Spiel mit Sprache, das nun auf Basis des Gedichtbandes „Neue Weltchirurgie“ auch bei uns im MCS.1 erlebbar sein wird.

Marek, ist die „Neue Weltchirurgie“ eigentlich Kunst oder kann das dann auch wieder weg?

Ich habe mich im Rahmen des Projekts bewusst nicht als Künstler betitelt, sondern als Herausgeber. Ich verstehe mich als der, der sichtbar macht. Ob das Kunst ist, weiß ich nicht. Aber auch dazu werden die Leute vielleicht ihre eigene Meinung haben. Kunst oder nicht – für mich war das bei der Umsetzung keine entscheidende Frage.

Viel Entscheidender ist dafür der Faktor Text in diesem ganzen Versuchsaufbau. Woher kommt Deine Begeisterung für Sprache?

Ich habe schon immer gerne gelesen, gerne Sprache konsumiert. Irgendwann habe ich auch ein bisschen Germanistik studiert und merkte, dass mich die Linguistik sehr interessiert. Dieser Versuch zu verstehen, wie Sprache funktioniert, wie Bedeutung entsteht. Das ist hängengeblieben, obwohl ich das Fach nicht weiter studierte. In meinem gestalterischen Studium kam das dann wieder zurück. Die „Neue Weltchirurgie“ ist letztlich das Projekt eines Semesters in meinem Kommunikationsdesign-Studium.

Dein gestalterisches Studium gab dem Ganzen schließlich seine Form?

Ich habe der „Neuen Weltchirurgie“ tatsächlich eine eher edle Form gegeben, habe einen klassischen Gedichtband realisiert. Sozusagen als Kontrast zu den verzerrten, vielleicht sogar verunstalteten klassischen Werken. Diese Diskrepanz fand ich tatsächlich witzig.

Wie entstand die Idee zu diesem Projekt?

Wahrscheinlich gab es mal diesen einen Geistesblitz. So genau weiß ich das aber gar nicht mehr. Ich hatte ganz lange diesen Zettel über meinem Schreibtisch hängen mit ein paar Ideen, die ich irgendwann umsetzen wollte. Und da stand eben unter anderem drauf: „Band mit Google-Gedichten“.

Aus der Erfahrung heraus, dass ein Google Translate-Übersetzungsversuch nicht immer korrekte, wenn auch bisweilen recht lustige Ergebnisse liefert?

Genau. Das hatte ich schon als Schüler gelernt, wenn ich dachte, ich könne damit meine Englisch-Hausaufgaben verkürzen. Das ist lange her, aber es war noch in meinem Kopf. Und ich fragte mich, was passiert, wenn ich das auf die Spitze treibe, immer weiter übersetze, auch in die seltensten und schwierigsten Sprachen dieser Welt.

Welche Texte schafften es schließlich in Deinen Google-Gedichtband?

Das war letztlich eine Bauchentscheidung. Ich achtete darauf, ob sie gewisse sprachliche Ungewöhnlichkeiten aufwiesen. Irgendetwas, das herausstach. Ich suchte interessante sprachliche Konstrukte, neue Wortschöpfungen. Danach wählte ich aus. Oft musste ich weiterübersetzen, weil ich noch nicht zufrieden war.

Du hast also doch ein wenig eingegriffen?

Natürlich habe ich auch gefiltert und kuratiert. Betrachtet man das Ergebnis, könnte man denken: Da kommen ja nur interessante Dinge raus. So war es nicht. An jedem Text saß ich eine gute Stunde dran. Habe verschiedene Varianten gelesen. Und ich habe sortiert. Ich hatte einen kleinen Einfluss. Vielleicht mehr als mir lieb ist. Und doch sind es eben nicht meine Texte, sondern Goethes oder die der Ärzte und nicht zuletzt die von Google Translate. Das macht es am Ende einfacher. Ich hatte nicht unter Kontrolle, was mit dem Text passieren würde, ich kontrollierte nur, welche Version ich schließlich nehmen würde.

Das heißt, Du übernimmst keine Verantwortung für das Ergebnis?

Nein, denn so gesehen hat die „Neue Weltchirurgie“ ja keinen Autor. Das befreit einen übrigens auch ein bisschen von der weniger interessanten Frage, was sich der Autor dabei gedacht hat. Natürlich kann man sich fragen, wie das alles zustande kommt, wie der Mechanismus funktioniert, die Technik dahinter. Aber man kommt als Leser oder Betrachter schneller zu dem eigentlich interessanten Teil: Was steht da für mich persönlich?

Das heißt, Du übernimmst keine Verantwortung für das Ergebnis?

Das stimmt, der erste Impuls ist immer, einen gültigen Sinn in etwas erkennen zu wollen. In diesem Fall ist man aber auf sich alleine gestellt, denn es gibt auf diese Frage keine Antwort. Und genau das finde ich so gut daran: Man kann sich nicht nach einer validen Lösung umgucken. Sprache darf hier einfach nur für sich selbst stehen, befreit von der Vorstellung, einen Sinn haben zu müssen. Ohne Intention. Das ist doch etwas sehr Seltenes, und auch das gefällt mir. 

Klingt nach einer echten Herausforderung für den Betrachter?

Oder vielmehr nach einer Befreiung. Denn jede subjektive Lesart ist richtig. Es geht nur darum, was ich darin sehe oder lese. Es gibt keinen falschen Ansatz. Und das kann unglaublich viel Spaß machen. Mir ging es jedenfalls so. Ich war jedes Mal aufs Neue gespannt, was bei den Texten wohl herauskommen würde. Es war wie Geschenke auszupacken. Am Ende war es wie eine Sucht, noch einen Text zu übersetzen und diesen Überraschungseffekt immer wieder zu haben. Einfach faszinierend. Sonst ist es ja schwer, sich selbst zu überraschen, mit dem was man macht. Weil man es ja bewusst ausführt, ein Konzept hat, einen Plan.

Hat diese Erfahrung Deinen Blick auf die menschliche Kreativität und Schaffenskraft verändert?

Ich glaube nicht. Das Konzept des Zufalls war ja auch schon früher etwas, womit sich Menschen kreativ befasst haben. Und ich finde, auch in meinem Projekt gibt es Grenzen. Man kann diese Werke lesen, wie moderne Lyrik, aber sie entsprechen ja meist keiner gängigen Ästhetik.

Digital Dadism – vielleicht begründest Du damit ja eine eigene Gattung?

Es geht schon in Richtung Dadaismus, erinnert an diese Unsinns-Kunst oder wie man das nennen mag. Insofern war es nichts bahnbrechend Neues. Es hat aber sprachlich weiter meine Sinne geschärft. Der ganze Prozess verdeutlicht, wie sprachliche Konstrukte zustande kommen, die eigentlich überhaupt keinen Sinn haben, jedenfalls keinen, den wir kennen, die uns aber trotzdem beeinflussen, die Assoziationen in uns auslösen können.

Wie ergebnisoffen gehst Du nun an Deine Ausstellung heran?

Ich bin gespannt, was passiert und ich hoffe, dass die Leute sehr unterschiedliche Sichtweisen auf die Texte haben werden. Dass dadurch neue Aspekte dazukommen, die ich selbst so noch nicht gesehen habe. Und ich bin gespannt, ob jemand trotzdem in Versuchung gerät, den vermeintlichen Autor um Rat zu bitten.

Was würde dieser dann tun?

Ich werde zugeben müssen: Ich bin genauso ratlos wie Sie.

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