Können diese Pixel lügen?

Bilder sagen nicht die Wahrheit. Ein Vorwurf, der nicht nur die Medien- und Kommunikationsbranche beschäftigt, sondern auch das MCS.1. Was sahen wir im November? Zum Beispiel Fotograf und Filmemacher Fabian Birke und Bildwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Schaden beim Auftakt unserer Reihe „Schüler/Mentor“.

von Katharina Raab

22. Januar 2020

Misstrauen, Manipulation, Überdruss. Schrieb sich einst noch das Licht, wie Alexander von Humboldt in den ersten Stunden der Fotografie schwärmte, in „unnachahmlicher Treue“ auf dem Papier ein, so werden Bilder heute oft der Lüge bezichtigt. Schuld an allem ist natürlich die Digitalisierung. Vielleicht auch wir selbst und unser Irrglaube, da sind wir uns zu Beginn des Abends noch nicht ganz sicher. Was wir sehr wohl wissen: In der Werbung dürfen Bilder lügen, schöner sein als die Wirklichkeit. Fiktion sein. Natürlich auch im Kino. Nicht aber beim World Press Photo Award, weltweit DER Wettbewerb für Fotojournalisten. 22 Prozent aller Einsendungen würden dort regelmäßig von der Jury aussortiert – „wegen zu starker digitaler Bearbeitung“, desillusioniert uns Fabian Birke mit Bezugnahme auf einen Artikel der Zeit (9.7.2015, Zeit.de). Teile des IKEA-Katalogs entstünden sogar ganz ohne Zutun eines Fotografs, wird es dann noch doller. „Was siehst du?“ Die Frage des Abends ist unter diesen Vorzeichen nicht ganz ohne. Projektion, Täuschung oder Wirklichkeit? Was zeigen uns Bilder? Und was ist das für ein Wirklichkeitsverständnis, wenn wir Werbebildern die Inszenierung, die Retusche und ja, die Lüge nachsehen, Katalogbilder rezipieren, die keinen Autor haben, Fotoreporter aber eines Wettbewerbs verweisen, wenn sie der Ästhetik ein bisschen Realität opfern. Lügenpresse hört man es schon unken.

„Ich finde schlechte Bilder großartig.“

Machen wir uns nichts vor. Bilder sind heute keine guten Komplizen mehr bei der Suche nach Wahrheit oder Wirklichkeit. Die Digitalisierung hat das Bild und das Bildermachen nicht nur demokratisiert, sondern profaniert. Knipsen kann heute jeder. Manipulieren auch. Und dabei sind wir nicht einmal besonders kreativ, findet Prof. Dr. Christoph Schaden, Bildwissenschaftler an der Technischen Hochschule Georg-Simon-Ohm, dem der Blick in die sozialen Medien vor allem eines offenbart: Geistige Beengung, ein normatives Weltverständnis. „Wir reagieren nur noch, wir modulieren nicht mehr“, sagt er mit Verweis auf das mimetische Prinzip der Bildentstehung heute. Nachahmung statt Schöpfung. Die Reproduktion des ewig Gleichen – schmolllippige Selfies vor insta-fähiger Kulisse. Das digitale Bild ist heute auch nicht zuletzt Affirmation. Selbst-Bestätigung. Ich knipse, also bin ich. Und war wirklich da – am Eiffelturm, am Matterhorn, am Südpol, beim Iron Man auf Hawaii. Das Bild als Beweis der eigenen Weltläufigkeit – aufpoliert, von Filtern schattiert. So perfekt, dass man nostalgisch fragt: Wo sind all die schiefen Schnappschüsse hin? The sun always shines on Instagram. Da hat man durchaus Mitleid mit all den Historikern und Quellenkritikern von Morgen.

Und auch mit all den Fotografen. Was interessiert uns noch in einer übersättigten Bilderkultur wie der unseren? Welche Motive bewegen uns? Was reizt uns? Lässt uns innehalten, schauen, nicht weiterwischen? „Ich finde schlechte Bilder großartig“, sagt Schaden, der sich mehr Pluralismus wünscht und seinen Studenten, zu denen Fabian Birke einst auch gehörte, schon mal Aufgaben verordnet wie: „Fotografieren Sie Langeweile“ oder: „Stellen Sie sich 20 Minuten vor ein Gemälde und betrachten Sie es“. Der Bilderflut begegnet man, so scheint es, am besten mit Gemächlichkeit – und natürlich Besonnenheit. Denn am Ende sind nicht die Bilder schuld, so Schaden, unser Umgang mit ihnen, unser Blick, unsere Erwartung sei oftmals schlichtweg falsch. Beim Fotografieren wie bei der Betrachtung von Bildern gehe es auch darum, eine neue Perspektive zu finden, einen „anderen Blick“ jenseits der Norm. Eine Haltung. Ein Gespür für die Situationen, für die Menschen vor der Linse. Nur dann sind wir vielleicht mehr als ein Finger am Auslöser. Nur, wer den Mut fasst, seine Perspektive zu teilen, anderen seine eigene erlebte, vielleicht auch seltsame Welt zu zeigen, spürt womöglich wieder Lust an Autorenschaft und lässt vielleicht Bilder mit Bedeutung entstehen. Und Glaubwürdigkeit. Und Atmosphäre, die der Start- und Mittelpunkt einer guten Geschichte sein können.

Diese durchaus vorhandene Sehnsucht nach dem Echten, dem Wahrhaftigen, nach Bedeutsamkeit zwischen all der Retusche, all den Pics vor immergleicher Kulisse triggert eine seltsame Gegenbewegung. Dass Fotobücher in unserer digitalisierten Zeit boomen, ist da weit mehr als blanke Ironie. Diese Entwicklung zeigt: Wir wollen wieder mehr Kontrolle haben über unsere Bilder, über deren Inszenierung. Wir wollen etwas festhalten in der Flut. Papier scheint immer noch geduldiger zu sein als der Screen eines Smartphones.

Was sehen wir? Was also wollen wir heute von Bildern? Vermutlich immer noch das Gleiche. Bestätigung, Erinnerung. Ein paar Likes und Klicks. Sicher ist, dass wir, berauscht von unseren Möglichkeiten, verlernt haben, mit ihnen umzugehen. Bilder mögen vielleicht keine Fenster in die Wirklichkeit sein, das waren sie per se noch nie. Vielmehr weisen sie direkt in die Seele unserer Kultur. Vielleicht sollten wir also fairerweise und spaßeshalber den Spieß umdrehen und auch mal fragen, was so ein Bild eigentlich will. Von uns und überhaupt. Lügner, Wirklichkeitsecho oder Projektionsfläche? In seinem Werk „What do pictures want“ (2005) findet Bildtheoretiker W.J.T. Mitchell dazu eine eigene Antwort: „Was Bilder also eigentlich wollen, ist, einfach danach gefragt zu werden, was sie wollen – unter der Voraussetzung, dass die Antwort sehr wohl lauten mag: überhaupt nichts.“

Darauf gleich mal ein Selfie. 

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