Der heilige Gral

Kein Erfolg im New Normal ohne klare Vision.

von Fabian Birke

6. August 2020

Der Weg ist das Ziel, heißt es so schön. Aber in schwierigen Zeiten kommt man schnell vom richtigen Weg ab. Genau in solchen Zeiten befinden wir uns gerade. Die Unsicherheit ist allgegenwärtig und man versucht, sich mit dem „New Normal“ zu arrangieren. 

Einige Unternehmen treibt die Angst dagegen zu radikalen Umbrüchen. Inzwischen ist eine regelrechte Innovationswut ausgebrochen. „Creative disruption“ betitelt der Economist die neue Experimentierfreudigkeit. Der Begriff Disruption kommt mir natürlich aus dem Innovationsmanagement-Studium bekannt vor – Christensen gehört zur Pflichtlektüre. Und tatsächlich beschleunigt die Pandemie Veränderungsprozesse merklich. Wer Unsicherheit zulässt, für den kann die Post-Corona-Welt völlig neue Chancen eröffnen. Nur, wenn der Weg das Ziel war und der nun nicht mehr klar erkennbar ist, kann das schnell in die Irre führen.

Die Welt ist im Wandel. Ich spüre es im Wasser. Ich spüre es in der Erde. Ich rieche es in der Luft.

Wer regelmäßig mit Storytelling zu tun hat, fühlt sich sofort an das Intro von Tolkiens Epos „Der Herr der Ringe“ erinnert. Fakt ist, wir müssen uns diesem Wandel stellen. Wir alle, auch bei Birke und Partner. Also haben wir uns zunächst ein paar grundlegende Gedanken gemacht, um uns nicht zu verzetteln. Dabei ist uns aufgefallen, dass in jeder guten Geschichte zumindest eine Prise Transformation steckt. Die klassische Heldenreise ist zugleich ein Stück Selbsterfahrung des Protagonisten. Er überprüft seine Werte und hinterfragt sich und sein Weltbild. Nur so kann er seine unbewussten, tatsächlichen Ziele erkennen, seine eigentliche Motivation verstehen und sein persönliches „Why“ finden. Diese Vision des Helden sorgt auch bei verzwickten Plots stets für Orientierung. Und genau darum geht es. Dann mal auf ins Abenteuer!

Mein Verständnis als Creative Director ist, dass mich eine Vision emotional ansprechen und inspirieren muss. Eine gute Vision begeistert mich vielleicht sogar! Gewinnversprechen an Investoren oder Aktionäre, wie man sie oft liest, sind dagegen nicht wirklich visionär. Und überfrachtete Mehrzeiler auch nicht. Im Optimalfall ist es ein einfach verständlicher Satz, ein klares Bild der Zukunft. Etwas sinnstiftendes, mitreißendes, von dem ich gerne ein Teil sein möchte. 

Imagine a world in which every single person on the planet is given free access to the sum of all human knowledge.

Etwa so. Ich kann mir spontan vorstellen, bei Wikipedia zu arbeiten. Wie das Beispiel der Heldenreise zeigt, darf die Vision dabei nicht im Widerspruch zu unseren Werten und unserer Unternehmenskultur stehen. Folglich kamen die bei uns zuerst auf den Prüfstand. Und weil wir gerne in Narrativen denken, hat sich die größte aller Geschichten förmlich als Rahmen dafür angeboten. Genau: Die Ritter der Kokosnuss. 

Brückenwächter: „Was ist deine Lieblingsfarbe?“ Sir Galahad: „Blau. Nein, Gelb! Aaaahhh…“

Monty Pythons Helden haben in „Die Ritter der Kokosnuss“ eine klare Vision vor Augen – den heiligen Gral. Der Weg, wie sie diesen erreichen wollen, beschreibt ihre gemeinsame Mission. Dabei handeln sie strikt nach einem einheitlichen Wertekodex. Diese Verbundenheit zueinander zeigen sie nicht nur mit dem Symbol des Kreuzes, sondern ebenso durch ihr Verhalten, ihre Sprechweise oder ihre Kleidung. Eine Corporate Identity, wenn man so will. 

Zugegeben, wahrscheinlich gibt es noch bessere Beispiele. Und die Heiliger-Kokosnuss-Gral-Parabel hat sicher ihre Schwächen. Der Punkt ist, dass man Kreativität zwar nicht erzwingen, sehr wohl aber den passenden Rahmen dafür schaffen kann. Je verrückter der ist, desto höher also die Wahrscheinlichkeit für eine wirklich inspirierende Vision. 

Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.

Einstein bringt auf den Punkt, was unter Kreativen als „Thinking outside the box“ bekannt ist. Die Box ist dabei das, was wir als Norm verstehen. Aus dieser gilt es auszubrechen. In den Workshop auch die Prinzipien des Design Thinking einfließen zu lassen, war also naheliegend. Wobei sich der Ansatz keinesfalls nur auf Designer beschränkt. Ganz im Gegenteil. Menschen unterschiedlicher Disziplinen sind erwünscht. Und tatsächlich kam der entscheidende Steilpass für unseren ersten Visions-Entwurf am Ende aus dem History Marketing! Aber der Reihe nach. 

Der Corona-Situation geschuldet musste unser Workshop in zwei Teile gegliedert und ein Teilnehmer per Konferenz zugeschaltet werden. Suboptimale Ausgangslage für kreative Rahmenbedingungen, aber keine echte Herausforderung für eine Agentur. Im ersten Teil ging es uns zunächst um ein gemeinsames Verständnis des Visionsbegriffes. Simon Sineks Golden Circle bot dazu die perfekte Vorlage. Speziell für das Zusammenspiel von Vision (why), Mission (how) und Produktangebot (what). Nach der Aufwärmrunde kam die erste Selbstfindungsphase. Mit einem überraschend homogenen Zwischenfazit ging der erste Tag zuende. Eine kleine Hausaufgabe gab es auch noch, wir sind ja schließlich nicht zum Spaß hier.

Interessant war wieder die hohe Übereinstimmung der erarbeiteten Werte und der visuellen Interpretationen. Dadurch bestätigt haben wir unsere Unternehmensidentität mithilfe von Archetypen nachgeschärft. Wir ziehen das mit dem Storytelling eben konsequent durch. Anhand dieser gemeinsamen Basis und ein paar Megatrend-Impulsen ging es endlich zur Visionierung. Eine leicht abgewandelte Kreativtechnik und klare Timeslots haben dafür gesorgt, dass wir es nicht zu verkopft angehen. Kahnemans „Schnelles denken – langsames denken“ lässt grüßen. Und die ersten Ergebnisse haben unsere Erwartungen sogar übertroffen! Wir möchten an dieser Stelle noch nicht zu viel verraten. Wer Storys heute erzählt, kann auf einen Cliffhanger nicht verzichten … 

Quellen:
https://www.iao.fraunhofer.de/lang-de/presse-und-medien/aktuelles/2298-corona-beschleuniger-virtuellen-arbeitens.html
https://www.economist.com/business/2020/04/25/the-pandemic-is-liberating-firms-to-experiment-with-radical-new-ideas
Clayton M. Christensen: The Innovator’s Dilemma – When New Technologies Cause Great Firms to Fail. Harvard Business Review Press, Reprint 2016.
https://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Prime_objective
Sinek, Simon: Start with Why – How Great Leaders Inspire Everyone to Take Action. Penguin US, 2011.
Kahneman, Daniel: Thinking, Fast and Slow. Allen Lane, 2011.

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