Was wird werden?

So viel kluge Weltbetrachtung war nie. Das Coronavirus sorgt für umfassende Betrachtungen zum Sinn des Lebens, es zeigt Menschen, die Charakter zeigen – und es bringt Solidarität, Empathie und Entschlossenheit, ja: Leidensbereitschaft, hervor. Allein Beliebigkeit war gestern.

von Ralf Birke

16. April 2020

Zappt man die vielen durchsichtigen Sensationsdauerschleifen zur Seite, bleiben da in Deutschland oft recht besonnene Politiker, über Parteigrenzen einigermaßen vereint. Vor allem aber werden Menschen sichtbar, deren Expertise sonst oft im Verborgenen wirkt. Ärzte, Pflegepersonal, Labore, Forscher; sie alle bilden ein festes Fundament, das wir in extraviralen Zeiten viel zu wenig würdigen.

Und wir Kommunikatoren? Womit beschäftigen wir uns so?

Es liegt nur wenige Wochen zurück, da wurde krisenfrei die große Transformation beschworen. Großworte hatten Hochkonjunktur. Glaubwürdigkeit, Purpose, Haltung, Nachhaltigkeit und was nicht noch alles, oft tief und wolkig im Marketingsprech tausendfach bemüht. Oft mit vielen doppelten Böden in Strategien und „Konzepten“ verbaut. Schon drängte sich der Eindruck auf, an die Stelle von Change sollten Parolen treten. Ging es da wirklich um Haltung? Oder doch nur um den „professionellen“ Umgang mit einem Modewort. 

Mir war und ist es für unsere Agentur immer wichtig, dass die Markenbotschaft Glaubwürdigkeit nur glaubwürdig sein kann, wenn man sie beweisen kann. Und beweist! 
Ich habe dabei nie übersehen, dass zur Markenbotschaft die Ehrlichkeit gehört, dass gesellschaftliche Relevanz und nachhaltiges Wirtschaften nur funktionieren, wenn auch Gewinne erwirtschaftet werden, mit denen ein Unternehmen entsprechend agieren kann. Unternehmerisch auf Kante genäht, wird sich weder ein Virus besiegen, die Krise bewältigen, geschweige das Klima retten lassen. 

Jetzt wird sichtbar, welches Unternehmen aus dem Stand beantworten kann, welchen Zweck es verfolgt. Wem es nützt. Und ob seine Mitarbeiter einen Sinn in ihrem Handeln sehen können. Und daher mit großem Gemeinschaftsgefühl auch diese Krise meistern werden. Markus Gull formuliert präzise: „Die Brandstory eines Unternehmens ist ja nichts anderes als das, was den verantwortlichen Menschen als Menschen wichtig ist: ihr Anliegen.“  

Die Markenbotschaft Glaubwürdigkeit kann nur glaubwürdig sein, wenn man sie beweisen kann. Und beweist!

Wer jetzt nicht weiß, wofür er steht, der wird in der Krise keine Chance entdecken können. Wer jetzt aktionistisch handelt, der wird später achselzuckend auch keine Antwort auf die Frage finden: „Wer wirst Du gewesen sein?“ (Markus Gull) Unternehmerische Zukunft wird woanders stattfinden. 

Im Ergebnis sieht man oft Parolen-Marketing statt Besinnen auf das „Why“. Hochkonjunktur für Hashtags, die die Gemeinschaft beschwören, den Zusammenhalt, die Bereitschaft zum Verzicht. Doch schon einen Satz später meint man zwischen den Zeilen zu lesen: Bis der Spuk vorüber ist. 

Nächste Variante: Applaus-Marketing. Jeder wusste, dass in den Kliniken zu schlecht bezahlt wird. Aber wer konnte sich vorstellen, dass für die Wirtschaftlichkeit sogar die Lagerhaltung für das Nötigste herhalten musste? Also stehen wir auf unseren Balkonen und applaudieren den aufopferungsvoll kämpfenden Ärzten und Pflegern und allen anderen im Gesundheitsbetrieb und denen, die unseren Alltag am Laufen halten. Eine Klatsche für all die, die für niedrigste Löhne hinter Plexiglasscheiben Hamsterkäufe bonieren? Und welch eine menschliche Würde, wenn sie sich ehrlich über ein Mitbringsel ihrer Kunden freuen. 

Wie steht das im Gegensatz dazu, was Marketer daraus machen (müssen): Placebo-Marketing mit Youtube-Videos voll mit herzigen Blicken, lustigen Hometrainings, winkenden Heimarbeitern und dankenden Senioren. Youtube jubelt, Amazon wuchert mit seinem Angebot und der lokale stationäre Einzelhandel reckt die Hand aus dem Sumpf. Plötzlich bringt’s jeder. Nur: Will er es auch? Oder will er nur überleben? (Was ich verstehen kann) Ich habe Laufschuhe beim Händler meines Vertrauens bestellt. Sie wurden in einem lausigen Plastikbeutel abgelegt, grußlos, lieblos. Irgendwie: wertlos. Über einen kleinen Gruß hätte ich mich gefreut, ein „Danke“ für lokale Solidarität. Oder wenigstens einen Traubenzucker „für deinen nächsten Run“. 

Schade drum. Oder einfach nur ein weiterer Beleg dafür, dass wir verlernen, über den Nutzen und den Wert eines Produkts oder eines unternehmerischen Handelns zu informieren? Es gibt nichts Wirkungsvolleres als die Emotionalisierung unternehmerischen Handelns mit einer guten Geschichte. Aber es muss auch eine Geschichte da sein. Und die Bereitschaft dazu, sie zu erzählen! Nett verpackte Schuhe und ein ernst gemeinter Gruß – läuft. Online-Versender machen das meist nicht. 

Was wird übrig bleiben von den Beschwörungsvideos und Appellen? Wird sich unsere Branche auf Substanz besinnen – oder einfach nur froh sein, wenn ein Weg in eine Normalität gefunden ist? Und dann mit den guten alten Werkzeugen am „Change“ arbeiten. 

Also wie jetzt? 

Bei der sehnsüchtigen Suche nach Normalität werden wir fündig, wenn wir jetzt längst notwendige Veränderungen verwirklichen. Es ist der Moment der Macher und nicht mehr nur des Machbaren in Zeiten einer funktionierenden Wirtschaft. Social Distancing hat die Menschen ins Herz getroffen und die Wirtschaft ins Mark. Wer jetzt kein Rückgrat beweist, wer Pflaster um Pflaster auf die Wunden aus Umsatzeinbrüchen, digitalem Turbo und sich beschleunigenden Transformationsprozessen klebt, der wird diese Verletzungen schwerlich heilen können.

Die digitale Revolution wird dabei in voller Fahrt von einem Virus gerammt und muss sich neu justieren. Dabei wird es weniger um die Richtung gehen, sondern um die Haltung, mit der die Veränderungen der Veränderung realisiert werden. Und die Transparenz, mit der das Neue kommuniziert wird. Kommunikationsberatung und das Entwickeln erfolgreicher Strategien und Maßnahmen werden an völlig neuen Parametern gemessen werden: Empathie, gesellschaftliche Relevanz, Nachhaltigkeit, nachvollziehbarer individueller Nutzen. 

Um das zu kommunizieren, ist ist geradlinige, aufrichtige und ehrlich zugewandte Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit den Lieferantinnen und Lieferanten, den Partnerinnen und Partnern und vor allem mit den Kundinnen und Kunden gefordert. Vertrauen ist das Gold im Depot des Markenvermögens.
Es ist nicht die Stunde des Marketings. Druck auf strapazierte Märkte auszuüben, wird in diesem Teil unserer Wirtschaftsgeschichte vermutlich vor allem Gegendruck auslösen. Das gilt vor allem für den Bereich B2B. Mit welchen Benefitswollen sich zwei Unternehmen gegenseitig überzeugen, deren Mitarbeiter damit beschäftigt sind, das jeweils gekenterte Boot leerzuschöpfen? Mit Applaus in der Videokonferenz? In besinnlichen Videos von der Werkbank im Wohnzimmer? 

Unsere Branche ist schnell – mit Angeboten und Versprechen. Aber was soll’s? Wir sollten erst mal zur Besinnung kommen.

Wie das aussehen soll? Sicher nicht so, wie die Vertriebshektiker vieler Agenturen auf ihren Webseiten vertriebshektiken. Tenor: Alles nur eine Frage der richtigen Kombination der sichtbaren Werkzeuge. „Corona als kommunikative Herausforderung“ schreibt allen Ernstes Deutschlands Nummer 1. Krisenkommunikation aus dem Giftschrank. Nur keine Schwäche zeigen. Die „One-Voice-Policy“ soll Sicherheit suggerieren, eine Task Force Entschlossenheit signalisieren. „Mandatories“ sollen es richten. Was zaubert unsere Branche nicht alles an Lösungsvorschlägen aus dem Hut. Dabei wäre es so einfach: Jetzt ist mehr denn je gefragt, sich auf eine sinnvolle und nachvollziehbare, sich tief im Erinnerungsvermögen der Zielgruppen verankernden und damit wirtschaftlich nachhaltig wirksamen Brandstory zu konzentrieren.

Einschub 

Seit über zehn Jahren plädieren wir dafür, die Geschichte eines Unternehmens viel stärker in seine Zukunftsplanung aufzunehmen. Wir sprechen vom „Erinnerungs-Vermögen“. Wir verstehen Archivarbeit als Schürfen im Markenkern nach Wettbewerbsvorteilen und Qualitätsbelegen. Vor allem aber, und das sind in Zeiten von Corona unschätzbare Funde: Wir identifizieren frühere Krisen, analysieren sie und legen die Strategien offen, die zu ihrer Lösung beigetragen haben. Keine dieser Krisen lässt sich mit einer anderen vergleichen. Wohl aber die Entschlossenheit, die Haltung und der Erfolg, mit denen ein Unternehmen in einer Zeit wie diesen zu Werke geht. 
Aber das ist eine andere Geschichte. Vielleicht die nächste an dieser Stelle.  

Das einzige, was man heute ehrlicherweise empfehlen kann, ist Zurückhaltung und Fokussierung. Der aktuell verbreitete Aktionismus wird schnell vom Tisch sein. Die wirklichen Herausforderungen treten langsam, aber sicher zutage. Die Appelle von heute werden schon bald eine Pointe in der Unternehmensgeschichte sein. Im schlimmsten Fall dienen sie später als Projektionsfläche für das wirkliche Entsetzen aus diesen Tagen. Und illustrieren die Hilflosigkeit. 

Es wird künftig nicht mehr genügen, irgendeine Lücke im Wettbewerb zu finden, um sie mit raffinierter Beliebigkeit zu füllen. Das wird niemand so schnell wieder brauchen. Schlimmer noch: Das wird sich so schnell niemand leisten können.  

Jetzt haben es Unternehmen und ihre Kommunikatoren in der Hand, ob sie in Zukunft als die Marke eingeordnet werden, die ohne Not einfach mal die Mietzahlungen einstellte. Oder als das Unternehmen, dessen kurzarbeitende Mitarbeiter alten Menschen die Einkäufe erledigt haben. Ohne das tagesaktuell auf Facebook zu posten. 
Und bedauerlicherweise wird sich schon bald nach Abflauen der Katastrophe niemand an die Not der vielen kleinen und mittleren Unternehmen erinnern, die aus der Krise keine neue Stärke generieren konnten. Zehn mit einem Lächeln gelieferte Blumensträuße können nun mal nicht den Verlust von 20 abgesagten Hochzeitsgesellschaften ersetzen. 

Die Wirkung von Marken, die Reputation eines Unternehmens und ein fundierter Sinn für das eigene Wirtschaften werden die entscheidenden Erfolgsfaktoren sein, um wieder auf die Beine zu kommen. Zumindest wünsche ich mir das. Weil ich überzeugt bin, dass auch gute Kommunikation auf diesen Überzeugungen basiert. Und diesen Unternehmen jetzt bereits in der Krise helfen kann, sich wieder aufzurichten.

Wer hat eine Chance?

Wer jetzt klar und nachhaltig kommuniziert. Wer seine Zielgruppen auch in der Krise mitnimmt, mit ihr ehrlich Kontakt hält und den Austausch mit ihr pflegt. Vielleicht auch mal die Nöte mit ihnen teilt.

Wer dies nicht mit Plattitüden wie Klopapier-Challenges tut, sondern authentische und einzigartige Geschichten erzählt. Sich auch einmal zurücklehnt und erinnert – nicht nur an die guten alten, sondern auch mal an die nur alten Zeiten, in denen Krisen nur allzuoft vorgekommen sind.  

Seine Awareness wird halten und verbessern, wer dabei unverwechselbare Erlebnisse in Momenten bereitet, in denen wir alle mehr denn je für Geschichten empfänglich sind. 

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